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Italienischer Espresso. Noch zeitgemäß?

In Zeiten in denen die sogenannten "Spezialitätenkaffees" in Verbindung mit Arabica Bohnen hochgelobt werden, wird immer wieder wird die provokante Frage gestellt, ob italienischer Espresso überhaupt noch zeitgemäss ist.

Dabei treffen zwei völlig verschiedene Espresso Philosophien aufeinander:

Der klassische italienische Espresso, massiv im Körper mit deutlichen Nuss- und Schokoladenaromen oder die modernen nuancierteren Varianten mit feinen Fruchtsäurearomen.

Für Italiener und Fans des italienischen Espressos sind die fruchtigen Epressi, die in den sog. Third Wave Coffee Shops ausgeschenkt werden, untrinkbare Disaster in der Tasse.

Für die Baristi, die sich der Kaffeespezialitätenszene verschrieben haben und oft auch an nationalen wie internationalen Meisterschaften teilnehmen, sind die dunkel und kräftig gerösteten Kaffees, die damit den römisch-neapolitanischen Stil verkörpern, nicht mehr als ein Akt der Vergangenheit. Aber welche Philosophie ist die bessere? Gibt es darauf eine Antwort?

Dazu muss man ein wenig in die Kultur des italienischen Espresso abtauchen. Denn dort gehört der schnelle Kurze an der Espressobar zum traditionellen Lebensstil der Italiener.

In Italien wurde durch das INEI (Istituto Nazionale Espresso Italiano)

festgelegt, wie ein typischer Espresso zu sein hat: 7g Kaffeemehl und 25 Sekunden Extraktionszeit ergeben 25 ml Espresso.

Vielleicht fragen Sie sich, warum das so ist?

Weil es schon immer so war. Der Espresso wurde in Italien seit Ewigkeiten nach diesem Rezept zubereitet und warum sollte man davon abweichen, wenn doch Generationen von Italienern ihren Espresso genau so genossen und geliebt haben? Doch wie ist diese Rezeptur entstanden?

Der Espresso in Italien ist ein Kind der industriellen Revolution. Die Arbeiter in den Fabriken, die vor dem Mittagessen hungrig und unkonzentriert waren, sollten mit dem Schuss Koffein dazu angetrieben werden, weiterhin produktiv ihre Arbeit zu verrichten. Eine kurze Kaffeepause war die perfekte Möglichkeit dazu. Diese Kaffeepausen durften aber nicht zu lang ausfallen, so dass der Espresso geboren

wurde: Ein kleiner, konzentrierter Kaffee, der schnell zubereitet und konsumiert werden konnte.

Selbstverständlich sollte dieser Kaffee gut trinkbar sein, aber es war nicht notwendig, dass dieser einen wahren Genuss darstellte. Niemand stand an einer Kaffeebar während seiner Arbeitspause und philosophierte über die Kirschnoten und die halbsüssen Schokoladenarmonen in der Tasse. Der Espresso war kräftig im Geschmack, heiss, zartbitter und stimulierend, so dass die Arbeiter die Zeit bis zum Mittagessen gut durchhielten. Denn das Mittagessen war Ende des 19. Jahrhundert häufig die erste richtige Mahlzeit des Tages.

Damit ist der Hauptunterschied erklärt, der zwischen dem Espresso in Italien und Andernorts liegt: Er war historisch gesehen ein wichtiger Teil des täglichen (Arbeits-)Lebens und daraus resultierend entstand ein Lebensstil, der sich über Generationen hinweg in Italien verwurzelt hat.

Letztlich ist es so, dass der moderne Third-Wave-Espresso nicht den gleichen praktischen Nutzen hat, wie es der Espresso in Italien hatte.

Daraus resultierend ergaben sich für die Third-Wave-Baristi alle Möglichkeiten, an der Entwicklung, der Analyse und dem Genuss des „modernen“ Espressos zu arbeiten, immer mit dem Ziel, den maximalen Genuss bzw. Geschmack zu erreichen..

Wenn Sie etwas nur des Genusses wegen konsumieren, möchten Sie alles schmecken können, was das Produkt zu bieten hat: Komplexität der Aromen, Körper, Süsse. Und um dies zu erreichen, verwenden die heutigen Baristi mehr Kaffeemehl. 8 bis 9 Gramm Kaffee sind da schon ein Minimum für einen einfachen Espresso.

Ob nun mehr Kaffeemehl auch mehr Aromen bedeutet, lässt sich trefflich diskutieren, aber das Herantasten an eine andere, differenzierte Zubereitung des Espresso erlaubt eine andere Art der geschmacklichen Beurteilung des Ergebnisses in der Tasse.

Und nebenbei gesagt ist es in der Regel ohnhin wichtiger, welchen Kaffee Sie benutzen und wie Sie ihn zubereiten, denn wieviel Gramm Kaffee Sie für einen Espresso verwenden.

Das Mahlen des Kaffees: Schnell gegen Frisch

„Ein Klack für einen einfachen Espresso, zwei Klacks für einen Doppelten“ – so lässt sich die Dosierung des Kaffeemehls in italienischen Espresso Bars einfach beschreiben. Dort werden Kaffeemühlen mit einem Dosiersystem verwendet – einem Behälter, welcher über einen Drehmenchanismus den gemahlenen Kaffee (selbstverständlich nicht mehr als 7g) portioniert. Und dieser Mechanismus wird über

einen Hebel ausgelöst, der beim Betätigen ein „Klack“ produziert.

Diese Art von Mühlen bzw. Portionierung ist in modernen Coffee Shops verpönt, weil der gemahlene Kaffee schnell an Aroma verliert und die Mühlen auch relativ schlecht einzustellen sind, wenn man regelmässig den verwendeten Kaffee wechselt. Natürlich wird in stark frequentierten italienischen Kaffeebars der vorgemahlene Kaffee schnell verbraucht und niemand kommt auf die Idee, den Kaffee, den man schon „seit immer“ verwendet, zu wechseln.

In den Third-Wave-Coffeebars dauert es tatsächlich länger, den bestellten Espresso zu erhalten, denn der Barista überwacht bei der Zubereitung des Espresso viele Paramater, um das perfekte Ergebnis in die Tasse zu zaubern.

und gleichbleibend guten Espresso wünschen, ist die italienische Espresso Bar Ihre erste Wahl. Wenn Sie schon einmal eine italienische Espresso Bar besucht haben, werden sie sicher die Geschwindigkeit der dort tätigen Baristi bewundert haben: „Kleckern, Tampen, Brühen – Fertig“. Immer und immer wieder. Wenn Sie also einen schnellen

In einer Third-Wave-Kaffeebar sind es die Kunden in der Regel gewöhnt,

dass dort die Zubereitung des Espresso mehr einer Zeremonie gleicht, die für jede einzelne Bestellung neu vollzogen wird.

Aber was ist nun besser? Natürlich hängt es wie immer von der persönlichen Gewohnheit und dem persönlichen Geschmack ab. Tatsächlich kann es manchmal nicht schaden, wenn der frisch gemahlene Kaffee einige Momente (im Dosierbehälter der Mühle) ruht, weil dann die Nuss- und Schokoladenaromen noch besser zur Geltung kommen. Aber macht es Sie nicht auch nervös, wenn Sie einen Espresso

bestellen und anschließend kein Mühlengeräusch hörbar ist?

Robusta oder Nicht-Robusta?

Crema, Crema, Crema – das ist es, was für Italiener und viele viele andere Kaffeegenießer einen durchschnittlichen Espresso zu einem genialen Espresso macht.

Je dicker die Crema, desto besser der Espresso.

Die Fixierung auf die Crema ist der Grund, warum die meisten italienischen Kaffeemischungen einen guten Anteil an Robusta-Bohnen enthalten.

Die Robusta Bohne, welche auf niedrigeren Meereshöhen angebaut wird und in der Regel günstiger im Einkauf ist, ist bekannt für ihren höheren Koffein-Anteil und die enorme Crema-Bildung. In den Kaffeebars der „Third Wave“ ist „Robusta“ ein verbotenes Wort. Die Baristi verdrehen die Augen, und viele Kaffeegenießer sind wenig erfreut über die kräftigen, erdigen und nussigen Aromen, die alle feinen Aromen der Arabica Bohnen überlagern.

Warum die Crema im Sinne des Aromas so wenig gewürdigt wird, wird unter den Kaffeefans leidenschaftlich diskutiert. Für sich alleine probiert, ist die Crema wenig schmackhaft, unter den Rest des Kaffees gemischt gibt sie diesem Tiefe und Balance.

Außerdem kann man oft an der Höhe der Crema erkennen, wie frisch ein Kaffee ist (mit zunehmendem Alter des Röstkaffees entsteht beim Extrahieren immer weniger Crema). Tatsächlich produziert nur ein wirklich frischer Arabica-Kaffee im Vergleich zum Robusta-Kaffee ausreichend Crema.

Da man die Rohbohnen des Robusta-Kaffees in der Regel zu deutlich günstigeren Preisen einkaufen kann und diese auch weniger krankheitsanfällig beim Anbau sind, wird der Robusta gerne als „Füllkaffee“ in den Kaffeeröstereien verwendet, um die

Rohstoffpreise niedrig zu halten. Das ist auch der Grund, warum in Italien der Espresso „al banco“ (am Tresen) häufig nur 1 EUR oder weniger kostet. In Deutschland und in der Schweiz würde dieser Verkaufspreis jede Kaffeebar in den Ruin führen.

Jedoch sei noch einmal in Erinnerung gerufen, dass der Espresso in Italien ein Produkt des täglichen Lebens ist. Und wie selbstverständlich sucht der Durchschnitts-Italiener seine Caffè Bar mehrmals am Tag auf, um einen Espresso zu trinken. Um die Bitterkeit des servierten Espresso wissend, greift jeder Italiener reflexartig zum Zuckerstreuer und geniesst so seinen Caffè. Dieser schmeckt nun nicht mehr nur nach Kaffee und ist damit geschmacklich verfälscht, aber so wird er getrunken, der italienische Espresso.

Die perfekte Pause.

Und, wie sollte es anders sein, nichts schockiert den italienischen Espresso Puristen mehr, als jemanden zu sehen, der in einem halb-Liter-To-Go-Becher einen Espresso spazieren führt, der in einem See von brühend heisser Milch versenkt wurde („ACHTUNG: Dieses Getränk könnte heiss sein und zu Verbrennungen führen„). Dieses Getränk nennt sich dann Cappuccino, obwohl es in seinem italienischen Heimatland

nur in einer Tasse zum Frühstück getrunken wird. Und niemals wird der Cappuccino herum getragen sondern man genießt ihn im Sitzen. Oder, noch besser, man trinkt ihn locker an einer Bar lehnend, während man gemütlich in der Zeitung blättert oder den Gesprächen der Anderen lauscht.

Für Italiener soll der Espresso eine Gelegenheit zur Pause sein, schlicht und einfach. Während man ihn genießt, gibt es ausser dem Espresso, der Pause selbst und den Gesprächen mit Dritten nichts, was den Italiener ablenkt. Espresso ist eine kurze Flucht aus dem Alltag und nichts, was einen im To-Go-Becher durch den Alltag begleitet.

In Übersee, aber auch in Deutschland und der Schweiz, ist Kaffee keine Pause, sondern eine Quell der Stimulation über den ganzen Tag hinweg. Wir brauchen ihn kurz nach dem Aufstehen, um überhaupt wach zu werden, und anschließend am Arbeitsplatz, um wach zu bleiben. Kurz auf einen Espresso zur nächsten Kaffeebar zu laufen und dort mit dem Barista ein paar schnelle Worte zu wechseln, ist in unserer Kultur nicht verankert. Kaffee wird konsumiert und weniger genossen. Auch wenn

dieses Konsumieren mit unter so weit ausarten kann, dass manch Einer Stunden mit einer Tasse Cappuccino vor sich zubringt (möglichst noch am Nachmittag), während er auf sein Laptop eindrischt oder lauthals telefoniert. Und damit in der italienischen Espresso-Tradition ebenfalls zu wenig Verständnis führt.

Fazit:

Keine Seite gewinnt. Beide Philosophien, ob italienisch oder „Third Wave“ hat ihre Berechtigung. Die Herangehensweise an das Produkt Espresso ist jeweils eine andere.

Jede Philosophie hat ihren Zweck, ihre Berechtigung, ihre Romantik und ihre kulturelle Wichtigkeit.

Am wichtigsten ist jedoch, und da gehen wir sicher einig mit Ihnen, dass man sich an dem Ort, an dem man seinen Espresso trinkt, willkommen fühlt und ein hohes Maß an Gastfreundschaft genießt. Und das steht und fällt weniger mit dem Espresso selbst, sondern mit demjenigen, der ihn zubereitet,

nämlich dem Barista.

Quelle: Kaffeerösterei Sonntagmorgen

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